Tsekyis Suchtgeschichte
Meine ersten Erfahrungen mit Alkohol habe ich in meiner frühen Kindheit gesammelt. Hier und da mal einen Schluck von den Erwachsenen probieren, war keine Seltenheit. Jedoch würde ich den Beginn meiner Suchtgeschichte auf einen anderen, viel späteren Zeitraum setzen. Den ersten Rausch hatte ich, als ich 15 Jahre alt war. Meine Eltern waren am Wochenende in einen Kurzurlaub gefahren. Die „sturmfreie Bude“ nutzten mein Bruder und ich für eine Fete bei uns zu Hause. Ich wollte damals unbedingt testen, ob Alkohol auch bei mir wirkt. Ich konnte mir das irgendwie gar nicht vorstellen. Meine Verträglichkeit war damals schon unglaublich hoch, denn ich brauchte zwei Flaschen Sekt und einige hochprozentige Spirituosen, um überhaupt erst mal angetrunken zu sein. Nach wenigen Stunden ließ die Wirkung wieder nach, aber ich hatte eine Erfahrung für mich entdeckt, die ich um fast jeden Preis wieder erleben wollte. Es dauerte auch nur wenige Wochen bis zum nächsten Mal. Bereits bei der zweiten Sauftour habe ich die Kontrolle über meinen Konsum verloren. Ich habe so lange getrunken, bis gar nichts mehr ging. Irgendwie war es damals schon eine Mischung aus Wollen und nicht anders Können. Es musste immer eine deutliche Wirkung spürbar sein, sonst brachte es mir nichts. Seitdem gab es regelmäßig Alkohol in meinem Leben. Allerdings kam es aufgrund meiner hohen Verträglichkeit nicht mehr zu derartigen Abstürzen, die schon fast im Koma endeten.
Gemeinsam mit einem Schulfreund habe ich dann begonnen, regelmäßig zu trinken. Es kam schon mehrmals in der Woche vor, dass wir uns eine Menge Sekt reingezogen haben, ohne viel darüber nachzudenken. Im Gegenteil – wir fanden es einfach nur lustig. Je größer die Wirkung und je heftiger die Ausfälle, umso cooler fanden wir es. Wenn ich dann so angetrunken nach Hause kam, hat meine Mutter nicht mal bemerkt, dass ich überhaupt Alkohol getrunken hatte. Ich habe meine Saufgewohnheiten immer verniedlicht und nur insgeheim Angst gehabt, in eine Abhängigkeit zu geraten. Aber letztendlich war die Sucht für mich total abwegig, weil ich ja kein „Penner auf der Parkbank“ war, der seine Bierdosen um sich herum stapelt.
Im Laufe der nächsten fünf Jahre habe ich so meine Erfahrungen mit Alkohol gesammelt. Ich kann sagen, es plätscherte so vor sich hin, allerdings immer noch bei jedem Mal mit dem Ziel, betrunken zu sein. Nachdem dann ein Freund besoffen vom Barhocker gekippt war, war er völlig handlungsunfähig. Diese Beobachtung hat mich damals sehr erschreckt. Ich wollte verhindern, dass mir so was auch passiert. Somit habe ich mit aufgesetzter Vernunft ein halbes Jahr gar keinen Alkohol getrunken. Allerdings war ich immer noch weit davon entfernt, mich als gefährdet oder gar als suchtkrank zu sehen, obwohl ich schon oft darüber nachgedacht hatte, dass mein Trinkverhalten und der dringende Wunsch nach dem Rausch nicht ganz normal bei mir ist.
Dann ging es steil bergab
In dieser Phase habe ich meinen späteren Mann kennen gelernt, der ebenfalls Trinker war. Er hat mich zu einer Sauftour eingeladen, bei der ich meine Vernunft wieder über Bord geworfen habe. Ich habe mir gleich einen halben Liter Kräuterlikör reingeschüttet. Von da an ging es ganz steil bergab. Nun habe ich jeden Tag diese selbe Menge getrunken. Man kann sagen, dass ich von null auf hundert aufgedreht habe, was vorher ein halbes Jahr lang unterdrückt war. Es gab kein Halten mehr. Ich habe getrunken, als ob es kein Morgen gäbe. Es war fast, als wäre ich an einer Leine angebunden gewesen und nun hätte sie jemand durchtrennt. Bereits nach einer Woche habe ich mir vorgestellt, wie unmöglich es jetzt wäre, die tägliche Menge wegzulassen oder zu reduzieren.
Nach etwa zwei Jahren exzessiver Trinkerei musste ich wegen einer Schilddrüsenoperation für zehn Tage ins Krankenhaus. Dort gab ich die tägliche Menge wahrheitsgemäß an, was das Personal natürlich dazu bewegte, mich näher zu befragen. Ich leugnete mein Suchtverhalten, ärgerte mich allerdings über diese Unterstellungen, die ich ja für so absurd hielt. Immerhin habe ich mir ja mit der Abstinenz im Krankenhaus bewiesen, dass ich keine Alkoholikerin sein konnte. Ich konnte ja ohne!
Im Laufe der Jahre war ich soweit, dass ich kaum noch etwas essen konnte. Mein Magen war so angegriffen, dass ich täglich nur noch ein oder zwei Scheiben Brot bei mir behalten habe. Ich konnte, wenn ich etwas gegessen hatte, das Haus nicht mehr verlassen. Ich stieg also vom Kräuterlikör auf klare Spirituosen um. Dieser Schritt gab mir wiederum zu denken, weil ich nicht einfach aufhören konnte.
Nach etlichen Aufhörversuchen habe ich es dann geschafft, für drei Wochen abstinent zu werden. Ich habe den Wegfall des Rausches allerdings als einen Verlust erlebt. Die Tatsache, dass mich niemand dafür gelobt hat, war dann für mich Ausrede genug, wieder anzufangen. Ich stieg wieder bei der vollen Menge ein und musste noch ein weiteres Jahr trinken, bis ich endlich den ernsthaften Entschluss fassen konnte, zu einer Beratungsstelle zu gehen. Beim Diakonischen Werk in Kassel erfuhr ich in den Einzelgesprächen viel über die körperlichen Vorgänge im Alkoholentzug. Außerdem lernte ich dort eine Herzlichkeit kennen, die ich vorher nie erlebt hatte. Man hat mich mit offenen Armen empfangen und mir vermittelt, dass man sich darüber freue, mir helfen zu können. Die Worte „Schön, dass Sie zu uns gekommen sind“ werde ich nie vergessen.