Sucht und die Willenskraft

Haben wir es nicht alle schon einmal gehört? – Na, Du willst doch gar nicht aufhören! Merkst Du nicht, was Du Deiner Familie antust?

Diese und ähnliche Vorwürfe machen den Ausstieg nicht leichter. Natürlich ist ganz klar, dass eine starke Willenskraft notwendig ist, um die Sucht „an den Nagel“ zu hängen. Ohne sie geht es nicht. Aber bedeutet ein Scheitern auch gleich, dass diese Willenskraft fehlt? Dieser Rückschluss ist nicht ganz realistisch. Schließlich handelt es sich bei der Sucht um eine Erkrankung. Welche Krankheit gibt es denn, die allein durch Willenskraft zu besiegen ist?

Ein Kriterium, über das die Sucht diagnostiziert wird, ist der Kontrollverlust. Was genau das ist, kannst Du hier nachlesen. Es stellt sich beim Kontrollverlust wirklich die Frage, wie viel des freien Willens eigentlich noch übrig ist. Kannst Du ein Fahrzeug lenken, über das Du gerade die Kontrolle verloren hast? – Nein! Das wäre ein Widerspruch in sich.

Jedoch ist es für Außenstehende oft nicht zu verstehen, denn wer süchtig ist, hat gelernt seine Sucht zu verstecken, sie zu bagatellisieren und die Angehörigen zu besänftigen. Es ist verständlich, dass Angehörige oft das Vertrauen verlieren, denn die unzähligen Versprechungen, die nicht erfüllt werden, geben Anlass, an der Ehrlichkeit zu zweifeln, mit der diese Versprechungen gemacht wurden. Will der Süchtige nun weiter konsumieren oder will er wirklich aufhören und schafft es nicht?

Wir können diese Frage hier nicht ganz klar beantworten, denn die Sucht hat mehrere Stadien, in denen sich der persönliche Standpunkt gegenüber der eigenen Sucht immer wieder verändert. Manche Menschen kommen irgendwann zu der Überzeugung, dass der eigene Konsum so, wie er gerade ist, nicht in Ordnung ist. Andere Süchtige kommen wiederum nie an diesem Punkt an und verschließen sich vollkommen vor der Tatsache, dass es für sie selbst am besten wäre, wenn sie aufhörten. Das sind dann die Menschen, bei denen die Sucht bis zum Tod gewinnt. Wenn man sie in eine Entgiftung und in eine Therapie zwingt, ist die Prognose eher finster. Nur ganz wenige von ihnen kommen während der Therapie dahin, dass die Abstinenz das ist, was sie selbst wirklich wollen.

Wie oben schon gesagt, ist der eigene starke Wille unbedingt erforderlich, um aussteigen zu können. Genauso ist es auch mit der Krankheitseinsicht. Es geht nicht nur darum, nichts mehr zu konsumieren, sondern es ist meistens eine deutliche Veränderung im kompletten Lebensstil erforderlich. Dazu gehört auch, dass man erkennt, dass es sich bei der eigenen Sucht um eine nicht heilbare Erkrankung handelt, die aber gestoppt werden kann – nämlich durch die Abstinenz vom Suchtmittel. Im bisherigen Lebenswandel und in der eigenen Geschichte liegen die Gründe für den Konsum. Ohne diese zu verarbeiten, wird es noch viel schwerer bis nahezu unmöglich, abstinent zu bleiben. Also braucht man auch den Willen, um diese Veränderung im Leben einzuleiten und zuzulassen.

Wie kommt dieser Wille zustande und wie wächst er? Während der Sucht gibt es auch Dinge, die den Konsum unangenehmer werden lassen. Es könnte beispielsweise damit beginnen, dass man nicht mehr kontrollieren kann, ob man etwas nimmt, sondern etwas nehmen muss, ob man gerade will oder nicht. Ein ganz einfaches Beispiel dafür ist die Zigarette, die dann draußen in der Kälte oder im Regen geraucht werden muss. Hat man Filmrisse? Ist es am nächsten Tag peinlich? Und wie ist überhaupt das Befinden am nächsten Tag? Kopfschmerzen? Übelkeit? Alles flatterig? – Willkommen im Entzug.

Weitere äußere, negative Einflüsse, die durch den Konsum entstehen, machen das Konsumieren immer schwerer. Droht der Chef mit Kündigung? Will der Partner mit den Kindern ausziehen? Der eigene Abstieg ist sehr individuell bis hin zur Frage, ob man überhaupt noch leben will, wie auch der eigene Tiefpunkt, an dem man spürt, dass es so keinen Schritt weiter geht. Das ist dann eine Entscheidung, die nicht nur aus der Vernunft heraus getroffen wird, sondern auch vom Herzen, zumindest ist das der Idealfall. Es braucht unbedingt auch einen emotionalen Grund, weil die Herzensentscheidung so viel Kraft verleiht wie nichts Anderes. Beruht der Wille zur Abstinenz auf einer Beziehung, also will man für den Partner abstinent sein, kann der Wille recht schnell umgestoßen werden. Gab es einen Streit? War der Streit etwas heftiger? – Dann wird es gefährlich. Das bedeutet nicht, dass man sich nie wieder streiten sollte, sondern dass man seine Entscheidung nicht von anderen Personen abhängig machen sollte. Die Abstinenzentscheidung für andere Menschen kann lediglich eine Brücke für den Anfang sein. Deshalb: Tu es für Dich!

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