Kontrollverlust

Als eines der wichtigsten Diagnosekriterien von Abhängigkeitserkrankungen gilt der Kontrollverlust. Doch was ist damit eigentlich gemeint?

Beginnen wir mal ganz vorn. Wir können Kontrolle nur über etwas verlieren, was wir tatsächlich auch kontrollieren möchten. Wie war das ganz am Anfang mit dem Konsum? Mal auf einer Party was trinken oder einen Joint zu rauchen war ja kein Problem. Das war eigentlich ganz lustig. In dieser Zeit machen sich nicht viele Menschen Gedanken darum, ob der Konsum nun gefährlich ist. Vermutlich denken sie nicht einmal über den Konsum nach, weil es vollkommen problemlos abgelaufen ist. Das genauere Hinsehen folgt dem Versuch, einfach mal nicht zu konsumieren, der dann scheitert oder wirklich sehr schwer fällt. Am besten wäre es, sich schon an dieser Stelle Hilfe zu holen. Dadurch, dass Sucht aber so verpönt ist und in der Gesellschaft als Schwäche gilt, sind nicht viele Menschen dazu in der Lage, sich einzugestehen dass man auf einem sehr schlechten Weg ist.

Dann folgt meistens der Versuch, sich zu beweisen, dass man kein Problem hat. Vielleicht ist es auch der moralische Druck, denn eine Abhängigkeit ist das Letzte, worin man gefangen sein möchte. Es ist außerdem verpönt. Jetzt kommen Systeme ins Spiel. Kein Bier vor vier, nur an diesen und jenen Wochentagen, nicht alleine… Meistens kann dieses Trinksystem erst mal eingehalten werden, denn es wird nach den derzeitig möglichen Kriterien ausgewählt. Also doch alles in Ordnung? „Ich kann es doch kontrollieren. Ich könnte morgen sofort aufhören, aber ich habe dazu keine Lust“. Und nachdem man sich nun eindeutig bewiesen hat, dass alles in bester Ordnung ist, braucht man ja das Trinksystem auch nicht mehr, denn die Kontrolle ist ja da. Der Anfang vom Ende.

Die nächste Party ist nicht weit. Aber weil am nächsten Tag der Wecker klingelt, muss es reichen bei 2 Gläsern zu bleiben. Wenn dann tatsächlich der Wecker klingelt und man sich darüber ärgert, dass man die letzten 5 Gläser nicht stehen lassen hat, ist der Kontrollverlust sichtbarer geworden.

Ein weiteres Zeichen für den Kontrollverlust ist es, wenn man sich zu Handlungen hinreißen lässt, die doch eigentlich immer tabu waren, wie z. B. betrunken zur Arbeit zu kommen und betrunken mit dem Auto zu fahren. Aber auch der soziale Abstieg gehört dazu. Man selbst stumpft ab und hat kaum noch Zugang zu den eigenen Gefühlen, wobei Letzteres häufig auch das Ziel ist.

Bald folgen die Ausreden. Verhaltensregeln und Grenzen werden immer weicher und ein bisschen angepasst, und noch ein bisschen und – ach egal! Wie bin ich gestern eigentlich ins Bett gekommen und wer hat mir die Schuhe ausgezogen? Der Filmriss ist wohl der heftigste Kontrollverlust.

Kontrollverlust läuft auch individuell ab. Eine gewisse Ähnlichkeit haben diese Wege allerdings schon. Letztlich haben sie alle gemeinsam, dass die Sucht schon lange das Steuer in der Hand hält und nicht der Konsument.

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